Heidelberg, Schloss, Englischer Bau

Englischer Bau, Dicker Turm und Stückgarten, Ausschnitt aus: Schloss und Garten Heidelberg, in: Martin Zeiller und Matthäus Merian, Topographia Palatinatus Rheni et vicinarum Regionum, Frankfurt am Main 1645 [ca. 1672], Universitätsbibliothek Heidelberg
Südfassade (zum Stückgarten)
Englischer Bau (Nordfassade zur Stadt) und Dicker Turm

Anderer Name

Elisabethbau

Kategorien

Datierung

1612–um 1615, Turmumbau 1616–1619

Material/Technik

Sandstein, Bruchstein

Weitere Angaben

Noch vor seiner Hochzeit im Jahr 1613 begann Friedrich V. von der Pfalz für seine zukünftige englische Gemahlin mit einem neuen Palastbau am Heidelberger Schloss. Als Grundstück hierfür wurde ein Platz außerhalb des bereits mit Gebäuden eingefassten engeren Bereich des Schlosshofs gewählt, und zwar zwischen Frauenzimmerbau und Fassbau auf der einen Seite und dem nordwestlich gelegenen Dicken Turm auf der anderen Seite. Damit durchbrach man die inneren Verteidigungsanlagen des Schlosses mit einem Repräsentationsbau und erhielt zugleich für diesen eine äußerst exponierte Positionierung über der Stadt mit einem Fernblick ins Rheintal. Nachdem mit dem 1601–1605 errichteten Friedrichsbau erstmalig ein Palast des Schlosses eine mit der Hofseite in etwa vergleichbar aufwendig (abgesehen von Skulpturenprogramm und detaillierteren Schmuckformen) gestaltete stadtseitige Fassade erhalten hatte, wurde der neue, nur als Ruine erhaltene Bau nun eindeutig mit seiner Hauptfassade zum Tal hin orientiert. Für den aufgrund der Grundstückssituation einen trapezförmigen Grundriss aufweisenden und sich auf einer eigens errichteten Erhöhung des Nordwalls erhebenden zweigeschossigen Bau wählte der Erbauer eine sich deutlich von dem zu diesem Zeitpunkt erst zehn Jahren alten Friedrichsbau seines Vaters absetzende Architektursprache: Die Talseite von acht Fensterachsen wird dominiert durch eine die Geschosse übergreifende kolossale toskanische Pilasterordnung mit verkröpftem Architrav und mit im Obergeschoss in die Gebälkzone reichenden Rundbogenfenstern, wogegen auf der Gartenseite allein zwei durch ein Gurtband getrennte Fensterreihen mit geraden Verdachungen und Gewändeohren die Fassade gliedern. Im Dachgeschoss fanden sich zu beiden Seiten je zwei Zwerchgiebel, die den Bau etwas an die Formen der älteren Schlossflügel anpassten und von denen nur noch gartenseitig Mauerteile erhalten sind. In einem zweiten Schritt wurde der oberste Teil des anschließenden Dicken Turms zu einem Festsaal umgestaltet, indem über einem Gesims ein neues sechzehneckiges Geschoss mit großen vierteiligen Fenstern ausgeführt wurde.

Der stilistische Bruch mit den älteren Palastbauten des Heidelberger Schlosses hat bereits früh den Schluss nahegelegt, dass der Gebrauch eines besonderen architektursprachlichen Idioms dazu dienen sollte, der englischen Prinzessin Elisabeth Stuart ein ihrer Herkunft und ihrem königlichen Rang angemessenes Wohngebäude zu schaffen. In England wurde durch Inigo Jones (1573–1652) im Umfeld des königlichen Hofs die palladianische Architektur modern, so dass Jones auch als Entwerfer des Englischen Baus angenommen wurde (zuletzt von Harris 1993), zumal er ab 1610 als Baumeister am Hof von Elisabeths Bruder Heinrich Friedrich von Wales angestellt war, sich in der Entourage des kurfürstlichen Paares auf dessen Weg von seiner Londoner Hochzeit nach Heidelberg befand und sich im Juni 1613 dort eine Woche aufhielt, bevor er nach Italien weiterreiste. Allerdings müsste er zuvor Pläne geschickt haben, um als für die Gestaltung der Fassaden verantwortlicher Architekt infragezukommen. Für Jones spräche, dass er mit guten Gründen als Vermittler der palladianischen Kolossalordnung gelten könnte, doch gibt es von ihm in der Phase vor seinem zweiten Italien-Aufenthalt 1613/1614 weder genügend gebaute Vergleichsobjekte noch eine hinreichende Menge überlieferter Planzeichnungen, um einen stilistischen Vergleich ziehen zu können. Während man bis in die 1980er Jahre hinein einen deutschen Architekten als Urheber der Pläne des Englischen Baus ausschließen zu können meinte, änderte sich das Bild zum Ende des Jahrzehnts hin: 1989 wurde der spätere Architekt des Nürnberger Rathaus-Neubaus, Jakob Wolff d. J. (1571–1620), als Entwerfer des Englischen Baus ins Spiel gebracht. Wolff war nach einer Anfrage des Kuradministrators an die Stadt Nürnberg Ende August 1612 an den Neckar entsandt worden (vgl. Skalecki 1989, S. 64–66). Eine Beteiligung des Steinmetzmeisters Wolff an der Gestaltung des Englischen Baus ließe sich etwa aus der strengen, parataktischen Gestaltung der Fensterfront der Südfassade des Englischen Baus im Vergleich zu einer ähnlichen Auffassung in der Fassade des Wolffschen Baus der Nürnberger Rathauses schließen, bei ähnlicher Gestaltung von Detailformen wie der einfachen rechteckigen Geschossgesimse. Doch gehen auch hier die Übereinstimmungen nicht weit genug, um von einer gesicherten Autorschaft ausgehen zu können. 2008 konnte nachgewiesen werden, dass der Architekt des Friedrichsbaus, Johannes Schoch (um 1550–1631) im Jahr 1616 weiterhin als kurfürstlicher Baumeister bestallt war (Hubach 2008, S. 39–41). Es steht aber weniger zur Frage, ob Schoch die Bauausführung überwachte oder ihm die Gestaltung der Zwerchhäuser zuzuschreiben ist, sondern ob er als Entwerfer der klassizistischen Architekturteile angesprochen werden kann. 2015 wurden wieder, nachdem diese schon früher in der Forschung diskutiert worden waren, die Augsburger Baumeister Joseph Heintz der Ältere, Johann Matthias Kager und Elias Holl (1573–1646) ins Spiel gebracht (Hanschke 2016, S. 177–178), wobei Heintz bereits 1609 verstorben war und für Kager und Holl keinerlei quellenmäßige Belege oder diesbezügliche Selbstzeugnisse vorliegen, zudem Kager vermutlich aus konfessionellen Gründen ausscheidet, wohingegen Holls Fassadengestaltung des Gemmingenbaus der Willibaldsburg von 1609/1610 durchaus Übereinstimmungen mit der Gartenfassade des Englischen Baus aufweist.

Insgesamt erwecken die so unterschiedlich gestalteten Nord- und Südfassaden des Englischen Baus den Anschein, das Ergebnis der Anverwandlung fremder Baupläne oder gar Traktatgraphiken durch einen lokalen Baumeister zu sein. Somit könnten tatsächlich von Friedrich V. während seiner Brautwerbung am englischen Hof im Herbst 1612 eingeworbene und nach Deutschland gesandte Zeichnungen von Jones vorgelegen haben, und auch Wolffs Ratschlag oder Holls Vorbild könnte eingeflossen sein. Auch wenn der Englische Bau durch seine klassizistische Strenge eine singuläre Erscheinung in der deutsche Architektur um 1615 sein mag, die singuläre Hand eines der genannten Architekten lässt sich nicht mit Sicherheit ausmachen. Als letzter Punkt soll aber noch zu bedenken gegeben werden, dass der Palast nachweislich spätestens seit 1649 als der „Engelische Bau“ bezeichnet wird (Nachweis bei Hanschke 2016, S. 161), was möglicherweise nicht nur auf seine berühmteste Bewohnerin und ihren Hofstaat verweist, sondern auch auf den kulturellen Kontext seiner Entstehung und künstlerischen Herkunft.

Kommentar

Philipp Hainhofer erwähnt in seiner Wildbad-Relation von 1615 bei der Beschreibung des Heidelberger Schlosses nur einen der Palastbauten als Einzelwerk und auch dies nur recht flüchtig als den „baw in grossen thuren, in welchem man / höheren gaden vnd höhere fenster sezet“ (fol. 221r). Trotzdem kann es sich bei dem genannten Bauwerk nur um den Englischen Bau, den jüngsten und stilistisch neuartigen, deutlich von den älteren Architekturen abweichenden herrschaftlichen Wohnbau des Schlosses handeln. Das wird durch die genannte Position am Dicken Turm und die größeren Fenster ohne Binnengliederung deutlich, die der Augsburger als hervorstechende Merkmale dieses Baus benennt. Die Formulierung könnte zudem darauf hindeuten, dass der Bau zum Zeitpunkt der Besichtigung noch nicht vollendet war.

Befindet/befand sich in

Heidelberg, Schloss

Literatur

Vorkommen im Text

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